Vorwort

Auf dieser Seite findest du Themen über die wir uns als Hochschulgruppe gedanken gemacht haben. Texte entstehen als Meinungsbild der Gruppe trotzdem recht selten, da sowohl Diskussion der Positionen als auch der redaktionelle Teil viel Zeit in Anspruch nimmt. Heißt: Wir diskutieren mehr als Texte vorhanden sind. Kommt ein Text zustande, wollen wir damit unseren Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten.  Wenn du eine unserer Positionen teilst, schau doch mal vorbei, wenn du nicht einverstanden bist, schau trotzdem vorbei. Wir diskutieren gern neue Argumente, die wir so vielleicht noch nicht betrachtet haben.

Der evolutionäre Humanismus hat als zentralen Bestandteil ja gerade, das wir Positionen nicht dogmatisch hinterherhecheln sondern versuchen den neuesten Erkenntnisstand zu begreifen und für das Gesamtgefüge zu berücksichtigen. Die Texte spiegeln also den Stand unserer Diskussion und Meinung zum Zeitpunkt der Textentstehung wieder, weshalb wir versuchen werden alle mit einem Datum zu versehen. Viel Spaß beim Lesen.

Religionskritik und Fremdenfeindlichkeit

Unser Statement zu Meinungsfreiheit, (Religions-) Kritik und Fremdenfeindlichkeit. Nachdem der redaktionelle Teil abgeschlossen ist findest du den Text hier.

"Sterbehilfe" - Wenn das Leben zur Qual wird

Ein Plädoyer für die ärztliche Suizidbeihilfe

Dr. S., selbst Mediziner und ehemaliger Leiter einer Privatklinik in Süddeutschland, erhielt im Alter von 61 Jahren die Diagnose ALS (Amyotrophe Lateralsklerose, eine degenerative Erkrankung des motorischen Nervensystems). Bereits anderthalb Jahre nach der Diagnose konnte sich Dr. S. weder verständlich artikulieren noch schlucken. Der Patient musste auf einem Spezialpflegestuhl festgeschnallt werden. Damit der Kopf nicht zur Seite fiel, war auch er fixiert. Die Sekrete, die sich im Mund, Rachenraum und in der Lungen ansammelten, mussten alle 45 Minuten abgesaugt werden. Bei vollständig erhaltenen geistigen Fähigkeiten musste Dr. S. miterleben, wie seine Muskelkräfte nach und nach schwanden. Mithilfe seiner Frau ersuchte er den Sterbehelfer Uwe­ Christian Arnold um Hilfe. Unter größter Anstrengung tippte er mit einem Finger auf die Tastatur eines Computers: „Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. [...] Ich hangele mich von Stunde zu Stunde. Ich möchte nicht an meinem Speichel ersticken oder wegdämmern. Ich möchte mich verabschieden und einschlafen, mein Leben beenden.“ Um innerhalb von 14 Tagen zu sterben, hätte sich Dr. S. für einen „Abbruch des Behandlungsverfahrens“ entscheiden können, indem er auf weitere Ernährung und Flüssigkeitszufuhr über eine Magensonde (PEG) verzichtet hätte. Dieses Sterbefasten hätte bedeutet, dass sich das Bewusstsein von Dr. S. infolge freiwerdenden Harnstoffs langsam getrübt hätte und er letztlich an Herzstillstand gestorben wäre. Dr. S. entschied sich aber für den assistierten Suizid, für den er Sterbehelfer Arnold brauchte: Über eine Infusion, die er mit letzten Kräften noch bedienen konnte, floss eine vorbereitende Lösung in seinen Magen. Im Beisein seiner Familie, die ihn in seiner Entscheidung unterstützte, starb er ruhig und schmerzfrei.

Dieser Fall, so geschildert in Arnolds Bestseller „Letzte Hilfe“, führt zwei Dinge klar vor Augen:

1. Dass es Krankheiten gibt, die die Lebensqualität so sehr einschränken, dass das Leben zur Qual wird und die Patienten den Tod herbeisehnen. Hierunter kann neben schweren neurologischen Erkrankungen auch fortgeschrittener Krebs fallen. Fast nie ist dieser Zustand umkehrbar, dies gilt insbesondere für die neurologischen Erkrankungen.

2. Dass Patienten unter Umständen bevorzugen, ärztlich assistiert zu sterben statt durch Sterbefasten.

Obwohl das Sterbefasten, also der Tod durch Verhungern und Verdursten, entgegen unter Laien verbreiteten Vorstellungen kein besonders unangenehmer Tod ist, wählte Dr. S. den Suizid unter Anleitung eines Arztes. Warum? Vermutlich weil er bei klarem Bewusstsein sein wollte und einen schnellen Weg bevorzugte.

Dürfen wir ihm dieses Selbstbestimmungsrecht absprechen? Ist es legitim, dass Ärzte nicht nur Lebenshelfer, sondern auch Sterbehelfer sind, indem sie einen Suizid assistierten? Mit diesen Fragen beschäftigen sich zur Zeit auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Die aktuelle Diskussion dreht sich – dies ist ein häufiges Missverständnis – nicht um die „aktive Sterbehilfe“[1], worunter wohl „Tötung auf Verlangen“ verstanden wird, sondern um den ärztlich assistierten Suizid, bei dem der Patient das tödliche Medikament selbst einnimmt. Die Forderung nach „Tötung auf Verlangen“ steht nicht im Raum! Gesundheitsminister Hermann Gröhe unterstützt eine Gesetzesinitiative für ein Verbot der Suizidbeihilfe, die bislang nicht unter Strafe steht. Allein den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen, also die palliativmedizinische Behandlung, hält er ethisch für verantwortbar. Seine Begründung: „Wer [...] die Selbsttötung propagiert, als Ausdruck der Freiheit des Menschen geradezu verklärt, der versündigt sich an der Wertschätzung des menschlichen Lebens in allen seinen Phasen.“ Dass Gröhe das religiös besetzte Wort „versündigt“ benutzt, zeigt, dass seine Vorstellung von der „Wertschätzung des menschlichen Lebens“ offenbar auf religiösen Überzeugungen gründet, die eine Bevölkerungsmehrheit nicht teilt: 87 Prozent der Deutschen meinen, jeder Mensch solle selbst über das Wann und Wie seines Sterbens bestimmen dürfen. Damit widersprechen sie der christlichen Lehre, dass Gott allein den Zeitpunkt des Todes eines Menschen festlegen dürfe. (Eine Lehre, die in letzter Konsequenz auch bedeuten würde, dass die Verdopplung der menschlichen Lebenserwartung seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute ein unzulässiger Eingriff in die „göttliche“ Entscheidung des Todeszeitpunkts darstellte.) Damit widerspricht eine Mehrheit auch Papst Johannes Paul II., demzufolge Leid eine „Prüfung“ sei, die als „Teilhabe am Leiden des gekreuzigten Christus“ verstanden werden solle.

In unserer Gesellschaft hat sich erfreulicherweise ein anderes Verständnis von der Würde des Menschen durchgesetzt: Nämlich die Vorstellung, dass die Würde des Menschen auch sein Selbstbestimmungsrecht einschließt! Das Selbstbestimmungsrecht, seinem eigenen Leben ein Ende zu bereiten, das in einem säkularen Staat aus religiösen oder moralischen Gründen nicht aufgeweicht werden darf. Natürlich ist es die Pflicht eines jeden Sterbehelfers, genau zu prüfen, ob der Suizidwunsch stabil ist, ohne gesellschaftlichen Zwang und bei klarem Verstand zustande kam. Ein Arzt darf nicht Helfer eines Verzweiflungssuizid sein! Dies betonen auch Sterbehelfer wie Arnold. Die Hürde, Sterbehilfe zu erhalten, sollte also durchaus hoch angesetzt werden, da sich ein Großteil der Suizidenten in einer psychischen Krisensituation befindet, aus dem man ihm mit Lebenshilfe heraushelfen kann.

Betrachten wir nun die am häufigsten genannten Argumente, die gegen die Sterbehilfe angeführt werden, näher. Sehen wir uns zunächst das sogenannte Dammbruchargument an, also die Annahme, dass „die Frage ,Wohin mit Oma' bald einen anderen Tonfall“ bekommen werde (Jakob Augstein), wenn die Sterbehilfe zu einer „normalen“ ärztlichen Leistung würde. Der gesellschaftliche Druck, so schallt es im Gleichklang der Sterbehilfegegner, würde der kranken Oma ein kostengünstiges Ableben durch Suizid nahelegen. Was ist davon zu halten? Interessanterweise gibt es zu dieser Behauptung Zahlen aus dem US­Bundesstaat Oregon, der 1997 die ärztliche Sterbehilfe legalisierte. Dort hat nach 1997 kein nennenswerter Anstieg der Suizide stattgefunden. Auch die Behauptung, mehr Kranke würden sich als „sozialer Ballast“ empfinden und deshalb vom ärztlich assistierten Suizid Gebrauch zu machen, ist empirisch widerlegbar. Als wichtigste Suizidgründe gaben die Patienten in Oregon den „Verlust der Selbstständigkeit“ (91,4 Prozent), den „Verlust der Fähigkeit, Dinge zu tun, die das Leben lebenswert machen“ (88,9 Prozent) und den „Verlust der Kontrolle über die eigenen Körperfunktionen“ (50,3 Prozent) an. 40 Prozent gaben an, eine „Last für Familie, Freunde und Pflegekräfte“ zu sein, doch logischerweise fast immer in Kombination mit einem oder mehreren der zuvor genannten Gründe.

Das Dammbruchargument ist also empirisch falsch. Ein aufmerksamer Leser könnte nun die berechtigte Frage stellen, ob nicht die momentane Straffreiheit der Suizidbeihilfe das Dammbruchargument bereits hinreichend widerlege. Die gbgdfn Antwort lautet „Jein“, denn Ärzte wie Uwe­Christian Arnold haben zwar keine Verurteilung zu befürchten, wohl aber unter Umständen eine Strafe ihres Landesärzteverbandes. Zehn von 16 Landesärztekammern sanktionieren Ärzte, die ihren Patienten ein tödliches Medikament bereitstellen, mit ihrem jeweiligen Standesrecht. Die Chancen auf Zugang zur Sterbehilfe richten sich absurderweise nach dem Bundesland, in dem der Arzt tätig ist. Auch der Verweis auf die Kosteneinsparungen eines schnelleren Ablebens durch Sterbehilfe ist nicht plausibel. Die Pflegekosten der Palliativmedizin sind sicherlich hoch (man rechnet mit 750 Millionen Euro Jahresumsatz) und die Hospize fahren beileibe keine Gewinne ein. Wer aber viel Geld macht, sind die Pharmaunternehmen – schätzungsweise sieben Milliarden Euro für Medikamente, die in der letzten Lebensphase verschrieben werden. Nicht das „Geschäft mit der Sterbehilfe“ wirft also großen Profit ab (erst recht nicht mehr, wenn Sterbehilfe – wie in diesem Kommentar vorgeschlagen – als ärztliche Leistung abgerechnet würde), sondern das „Geschäft mit dem künstlich verlängerten Leben“. Oregon verfügt – zusammen mit den Benelux­Ländern – im Übrigen über die beste Palliativmedizin der Welt, was wahrscheinlich auf die Wahlfreiheit der Patienten zurückzuführen ist. Wo Patienten die Möglichkeit des Notausgangs offensteht, können sie höhere Ansprüche an die Schmerztherapie stellen! Diese Möglichkeit kann auch im Allgemeinen eine Krankheit erträglicher machen, da „nur noch ausgeliefert sein, [...] ohne zu wissen, zu welchem Ziel hin“ nicht nur für die Sterbehilfe-­Unterstützerin und an Krebs verstorbene Politikerin Regine Hildebrandt ein Horrorszenario war.

In keiner Diskussion um Sterbehilfe darf ein Credo beider Seiten zum Ausbau der Palliativmedizin fehlen. Das Argument der Sterbehilfegegner: Wenn dieser Ausbau und eine breite Information der Öffentlichkeit zu den Möglichkeiten der Palliativmedizin erst einmal erreicht sei, wünsche sich kaum mehr einer, Suizid zu begehen.

Rufen wir uns nochmal den Fall von Dr. S. ins Bewusstsein. Seine Entscheidung fiel, obwohl er als Facharzt die Vor­ und Nachteile des palliativmedizinischen Sterbefastens bestens kannte, für den ärztlich assistierten Suizid. Wir müssen also zur Kenntnis nehmen, dass sich Patienten selbst bei optimaler Aufklärung gegen die palliativmedizinische Betreuung im Sinne eines „Sterbenlassens“ entscheiden. Nicht unbeachtet sollte auch der Aspekt bleiben, dass fünf bis 20 Prozent auf die palliativmedizinische Schmerztherapie nicht ansprechen. So sehr man aus humanistischer Perspektive den Ausbau der Palliativmedizin nur unterstützen kann, muss man also auch um seine Grenzen wissen. Keine noch so gute Versorgung hätte Dr. S. den Verlust der Selbstständigkeit erträglicher machen, keine noch so gute Versorgung hätte ihm wieder die Freude am Leben zurückgeben können. Palliativmedizin und Sterbehilfe sind aus humanistischer Sicht keine sich gegenseitig ausschließenden Behandlungsmöglichkeiten, sondern ergänzen sich. Niemand muss sich zur Sterbehilfe gezwungen sehen, aber auch niemand muss sein Leiden weiter ertragen, wenn er nicht mehr will.
Es bleibt zu hoffen, dass unsere Volksvertreter eine Entscheidung im Sinne der Freiheit und der Würde des Einzelnen treffen.

Moritz Rennet,

Humanistische Hochschulgruppe München

März 2015

[1]Der Nationale Ethikrat hat bereits 2006 empfohlen, auf die verwirrenden Begriffe aktive und passive Sterbehilfe zu verzichten und stattdessen zwischen 1) Sterbebegleitung („normale“ palliativmedizinische Versorgung), 2) Therapien am Lebensende (palliativmedizinische Maßnahmen, die unbeabsichtigt lebensverkürzend wirken könnten), 3) Unterlassung oder Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen, 4) Beihilfe zum Suizid und 5) Tötung auf Verlangen zu unterscheiden. Nach derzeitiger Gesetzeslage ist nur die Tötung auf Verlangen verboten.

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